Vom Leben als stiller Mensch, in einer lauten Welt

Inspiriert durch Susan Cain's Buch, "Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt."

Zu nächst einmal, ich bin nicht still und auch nicht leise. Ich habe eine laute Stimme, die ich von meinem Vater geerbt habe. Schon als Kind hat man mir vorgehalten, dass ich laut gehen würde (barfuß zwar, aber ja ich stampfe). Und ich lache so laut und fies, dass es sich anhört, als wäre ich ein Bösewicht aus einem James Bond Film.
Das alles tue ich allerdings nur in Kreisen, in denen ich mich zu 100 % wohl fühle. Ansonsten schleiche ich wie eine Katze, rede manchmal so leise, dass ich mich frage, wie mein Gegenüber mich überhaupt verstehen kann und lache ganz normal. Das alles ohne es zu bemerken oder es mit Absicht zu machen. Ich bin unsichtbar und habe manchmal nicht einmal das Bedürfnis etwas daran zu ändern.

Als ich mit meiner Ausbildung angefangen habe, wurde ich zu ersten Mal auf sehr heftige Weise damit konfrontiert nicht der (Wunsch) Norm zu entsprechen. Natürlich hat es niemals jemand so ausgedrückt. Vielmehr wurde mir gesagt, ich solle mehr reden, Fragen stellen, Interesse zeigen, freundlich wirken, …
Ich wusste nicht, was ich falsch machte. Ich war einfach nur ich. Ich war interessiert, sehr interessiert an meiner Berufswahl. Ich wollte unbedingt im Kindergarten arbeiten, seit ich fünf Jahre alt war. Ich versuchte alles, verbog mich und war dennoch nicht das, was man von mir erwartete.
Nach zwei Jahren Ausbildung, wurde ich in meiner Ausbildungsstätte übernommen, um dort als Kinderpflegerin zu arbeiten. Allerdings in einer anderen Gruppe. Für mich hieß das, das ganze Theater mit einleben wieder von vorne.
Diesmal ging alles allerdings ein wenig schneller, da ich nicht nur einmal die Woche dort war, sondern jeden Tag. Jeden Tag hatte ich die Möglichkeit mich mehr daran zu gewöhnen, von so viele Menschen umgeben zu sein. Aber auch da sagte man mir, ich wäre noch immer zu unsichtbar, man würde mich nicht wahrnehmen und die Eltern fänden mich unsympathisch. Obwohl ich bis heute der Meinung bin, dass die Kinder der ausschlaggebende Faktor sind, denn mit ihnen verbringe ich den Tag und sie schließen mich oft schneller ins Herz, als jeder Erwachsene Mensch.

In den Jahren als Kinderpflegerin wurde ich ins kalte Wasser geworfen, musste extrem Situationen im Team aushalten und mich gegen manche Schwierige Situation behaupten. Erst bei meinem zweiten Wechsel beeindruckte ich durch tatsächliches Interesse. Das allerdings auch nur, da meine jetzige Chefin selber introvertiert ist und lieber zuhört als redet. Ich stellte also Fragen, die in meinen Augen wichtig waren und erzählte einiges von mir und meiner bisherigen Arbeit.
Eine alte Schulfreundin hatte mich angeworben, was mir wohl zusätzliches Selbstvertrauen gab. Der Grund warum ich in die Physiopraxis meiner Schwester gehe und zum Zahnarzt, der ein Bekannter ist. Es ist leichter für mich, wenn ich jemanden kenne. Es macht mich entspannter und offener. Aber zurück zum eigentlich Thema.
In den drei Einrichtungen in denen ich gearbeitet habe, und noch arbeite, lernte ich so zu tun, als wäre ich offener, charismatischer und kontaktfreudig. Ich habe aufgehört unsichtbar zu sein, lächele die Eltern freundlich an und halte sogar ab und an Smalltalk mit ihnen. Aber es kostet mich mehr Energie, als manch anderer meinen mag.

Das alles war mir bereits bewusst, bevor ich mit dem Buch von Susan Cain anfing. Im Laufe der letzten Tage ( ich bin noch lange nicht fertig mit dem Buch) sind mir weitaus mehr Dinge aufgefallen und eingefallen. Hier ein Zitat aus einer Nachricht, die ich an meine beste Freundin ( und ebenfalls introvertierte) geschrieben habe:
Feststellung des heutigen Tages:
Ich denke schon lange darüber nach, dass Kindergartengruppen idealerweise aus 15 Kindern bestehen sollten, damit jeder die Chance hat, wahrgenommen zu werden. Meine jetzige Praktikantin denkt das gleiche.
Nach gut 90 Seiten, von "Still" ist mir der Gedanken gekommen, dass es daran liegt, dass wir beide selber das Bedürfnis haben uns in kleinen Gruppen aufzuhalten um zum Zug zu kommen. Wir wollen nur das für die Kinder, was wir uns selber Jahre lang gewünscht hatte, ohne es zu merken.

Später fiel mir auf, dass ich in genau so einer Kindergartengruppe betreut wurde. Ich weiß nicht mehr, wie viele wir waren, aber wir waren keine 15 Kinder.
Damit gehe noch weit mehr Erinnerungen ein her. In der Schule wurde ich einmal zur Klassensprecherin gewählt. Einmal, danach nie wieder, denn ich war wohl nicht charismatisch genug. In der Weiterführenden Schule war ich nur das nette, hilfsbereite Mädchen, dass in den Augen der anderen keine weiteren Qualitäten hatte, weil ich sie nicht permanent laut heraus schrie. Privat wurde ich plötzlich als arrogant bezeichnet ( obwohl ich bis heute keine Grund dafür sehe arrogant zu sein) und auch in der Ausbildung wurde ich in diese Schublade gesteckt.
Das alles hat mich nie angespornt an mir zu arbeiten oder es besser zu machen. Im Gegenteil ich fühlte mich klein und dumm. Ja! Ich dachte lange Zeit, die Leute würden denken, ich sei dumm, obwohl ich den Beweis schwarz auf weiß hatte, ich war nicht dumm, nur gehemmt.

Jetzt, mit 26 Jahren schüttel ich so etwas leichter ab. Es ist mir egal, ob die Leute mich für charismatisch oder für einen Einsiedler halten. Die Erinnerungen tun nach wie vor weh und ich bitte jeden der das liest, darüber nach zu denken, ob er oder sie sich nicht zu schnell ein Urteil über eine Person gebildet hat. Es ist kein Angriff und auch keine Schuldzuweisung, an den Leuten die mir bereits in meinem Leben begegnet sind. Ihnen war nicht bewusst, was der Unterschied zwischen uns ist. Denn das Thema Introvertiertheit und Extravertiertheit wird selbst in einer Pädagogischen Fachschule nicht durchgenommen. Niemand hat mir je den Unterschied zwischen schüchtern sein und introvertiert sein genannt und niemand hat mir je erklärt, dass ich in einer Welt lebe, in der die Menschheit denkt, man kommt nur als extravertierter weiter. Um mich dann vom Gegenteil zu überzeuge, weil es nicht wahr ist.
Ich kenne meine Qualitäten und meine Talente, ich bin auch in der Lage sie zu kommunizieren, allerdings habe ich nicht immer das Bedürfnis dazu. Ich bin nicht die erste und ich werde auch nicht die letzte sein, die still ist.

Aber ich hoffe, dass Führungskräfte ( wie weit oben oder unten sie auch sein mögen) diesen Blogpost lesen, das Buch lesen, und verstehen, dass Ying und Yang nur zusammen komplett sind.
Ich werde sicher in den nächsten drei- bis vierhundert Seiten noch einiges über mich und meine Umwelt lernen. Dies hier sind meine Gedanken bevor ich das Buch zu Ende gelesen habe, vielleicht gib es auch noch einen danach Blogpost.
Schriftlich konnte ich mich schon immer viel besser ausdrücken, konnte meinen Gedanken so viel Zeit geben, wie sie brauchten umso zu klingen, dass ich das Gefühl habe, jeder versteht mich. Wenn ihr bis hier gelesen habt, lass mir einen Kommentar da, lasst mich wissen, dass ihr verstanden habt, was ich versuchte habe zu erzählen.

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