Vom nett sein und nur nett sein
Ich bin nun schon einige Jahre mit der Schule fertig und
voll ins Arbeitsleben eingestiegen. Und jetzt fünf Jahre später finde ich
etwas, was mich daran erinnert, dass ich die Schule eigentlich überhaupt nicht
vermissen. Zumindest einige Punkte aus der Schulzeit. Nicht alles, bei Gott, es
gibt auch genug positive Aspekte am Schüler sein.
Aber glaubt mir, diese soziale und geistige Unsicherheit,
die in der Pubertät vorherrscht vermisse ich nun wirklich nicht!
Damals in der neunten Klasse, also vor neun Jahren,
machten wir mit der Klasse für einige Tage ein Kloster mitten im nirgendwo
unsicher. Das hieß, eigentlich machte das alles mich unsicher. Ich weiß ja
nicht, wie es im Rest von Deutschland aussieht, aber ein Jahr vor den
Abschlussprüfungen fahren die bayrischen Schüler "auf Besinnungstage".
Und wie der Name schon sagt, soll man sich besinnen
und sich selber besser kennen lernen.
Nun sind wir also alle noch in der Pubertät, im Alter
zwischen (sagen wir) fünfzehn und siebzehn und bekommen Aufgaben vorgesetzt in
denen unsere Psyche gestärkt werden soll. Das alles ist ja schön und gut, aber
ganz ehrlich nach diesen drei Tagen hatte ich eher das Gefühl meine Psyche wäre
am Ende.
Kennt ihr das "Spiel" Rückenzeitung?
Man bekommt einen Zettel auf den Rücken geklebt und
Menschen (Freunde, Arbeitskollegen oder in dem Fall meine Klassenkameraden, die
du nicht einmal mit dem A… Allerwertesten anschaust) sollten dir nette Dinge
über dich auf diesen Zettel schreiben. Die Regeln sind also ziemlich einfach.
Wir haben das damals allerdings nicht so persönlich
getan. Stattdessen wurden wir gebeten einen Briefkuvert zu bemalen. Dieser
wurde dann an die Wand gepinnt und die Schüler hatten drei Tage Zeit Zettelchen
hinein zu werfen, auf die sie ihre Gedanken über dich schreiben sollten.
Auch diese Variante ist jetzt nicht unverständlich. Gut
und warum fand ich dann in diesem Kuvert nur sechs Fetzen mit unvollständigen
Sätzen darauf? Ach ja, weil ich ja mit den restlichen 20 Mädchen (ja ich war in
einer Mädchenschule) überhaupt nichts zu tun habe!
So jetzt wurde dieses Spielchen nicht nur einmal durch
geführt, ich habe das ganze mittlerweile schon etwa fünf bis sechs Mal erdulden
müssen.
Damals in den Besinnungstagen wurde uns eine
herzergreifende Geschichte von einem Jungen erzählt, der am Boden zerstört war
und sich das Leben nehmen wollte. Doch bevor er die Gelegenheit dazu hatte,
fielen ihm diese Zettel in die Hände und er erkannte, dass er für andere
Menschen wichtig ist.
Und bevor ich meine eigenen Zettel las, hörte ich mir
diese Geschichte ganz ehrfürchtig an und malte mir aus, wie toll es wohl sein
muss, Dinge über einen selber zu lesen, die dir noch nie jemand gesagt hat.
Ja… wenn ich jetzt diese Briefchen, unvollständigen Sätze
und Wortfetzen lese kann ich der Geschichte überhaupt keinen Glauben mehr
schenken. Und würde ich mich selber nicht gut genug kennen und hätte ich
niemanden der mir das Gegenteil sagt, würde mich mir extra wegen den Zetteln
etwas an tun. Nicht das ich es jemals vor hätte, aber mein Selbstbewusstsein
stärken die Worte von Pubertären Gören wirklich nicht.
Denn wenn du jeden Zettel, den man mir bei jedem dieser
Spiele in die Hand gedrückt hat liest, dann weiß man eines: ich bin nett.
Nicht nett, lustig, kreativ, einfühlsam, sarkastisch,
verantwortungsbewusst, liebevoll, aufmerksam, intelligent und zuverlässig ja
vielleicht in manchen Dingen sogar talentiert.
Nein, einfach nur nett.
Ich bin nett ach und vielleicht noch hilfsbereit. Nett!
Auf jedem dieser Zettel kommt das Wort Nett vor. Nett ist der kleine Bruder von
Scheiße. Das wusste ich schon damals.
Neun Jahre später kenne ich mich gut genug um zu wissen,
dass das nicht alles ist. Aber ich würde das hier nicht schreiben, wenn es mich
nicht trotzdem ärgern würde. Ich war auch damals nicht nur nett. Nur waren wir
als Teenager viel zu sehr mit uns selber beschäftigt um uns darauf zu
konzentrieren, was an andern Menschen vielleicht auch positiv sein könnte.
Also warum wurden wir dann dazu genötigt, diese Zettel zu
schreiben? Es ist so unglaublich schwer einem Menschen, den man nicht gut kennt
ein tiefgründiges Kompliment zu machen. Und das einzige was mich damals
getröstet hat, waren die ernsten und lieben Worte meiner Freunde. Das hat
vollkommen gereicht, da brauchte ich nicht die erzwungenen Worte anderer Leute
in meinem Klassenzimmer.
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